Nikolas Roerich

Belehrung für den Jäger, der in den Wald hineingeht

 

Dem Jäger, der in den Wald hineingeht

 

 

Ob es Roerich aus Russland gab - 
       nehmt es an. 
Ob es Allal-Ming- 
Schri-Ischvara aus Tibet gab - 
       nehmt es an.

       ICH BIN - MIT IHM.

Zur Stunde des Sonnenaufgangs finde ich dich 
schon wohl auf, Jäger! 
Bewaffnet mit einem Netz gehst du hinein 
in den Wald. Du hast dich vorbereitet. 
Du bist gewaschen und munter. Dich 
engt keine Kleidung ein. Du bist 
gegürtet. Und deine 
Gedanken sind frei. Ja, du hast dich 
vorbereitet. Und hast dich verabschiedet vom 
Herrn des Hauses. Du, 
Jäger, hast dich in den Wald verliebt. Und 
mit deinem Fang bringst du deinem Volk 
Gutes. Du bist bereit ins Horn zu blasen. 
Du suchtest nach großer Beute 
für dich. Und fürchtest ihre Last 
nicht. Wohl an! Wohl an! Aufbrechender. 
Sind deine Netze stark genug? 
Hast du sie in langwieriger Arbeit 
verstärkt? Bist du 
froh? Und wenn dein Lachen 
einen Teil der Beute erschreckt - 
habe keine Angst. Doch poltere nicht mit den Waffen 
und rufe nicht laut nach den Jägern. 
Ach, bei Unfähigkeit werden sie dich 
vom Jäger zum Treiber machen. 
Sogar der Treibjäger wird 
dein Herr sein. Sammele Wissen. Halte 
deinen Weg ein. Warum schaust du dich um? 
Unter einem roten Stein lag 
eine rote Schlange. Und grünes Moos 
bedeckte eine kleine grüne Schlange. Aber 
ihre Zunge ist genauso spitz. Schon 
von Kindheit an erzählte man dir ständig 
von Schlangen und Skorpionen. 
Eine ganze Schreckenslehre! Aber 
viele Zwitschernde und Pfeifende 
fliegen hinter dir her. Ein Geräusch 
kriecht über deinen Pfad. Und 
ein Heulen dringt in dein 
Ohr. Aus Würmern werden 
Wale. Und ein Maulwurf wird zum 
Tiger. Aber du kennst das 
Wesentliche, Jäger. Alles das 
ist nicht dein. Dein ist die Beute! 
Eile! Zögere nicht! Aufbrechender! 
Verschwende deine Netze nicht 
für Schakale. Die Beute kennt nur der Jäger. 
Manchmal scheint es dir, dass 
du schon viel weißt. Aber 
trotzdem weißt du nicht, von wem 
die Kreise aus Stein an den Waldrand 
gesetzt wurden. Was bedeuten sie? 
Und wen warnt das Zeichen 
an der hohen Kiefer? Du weißt nicht 
einmal, wer die Schlucht, 
in die du hineinblicktest 
mit Schädeln anfüllte. Aber wenn du 
dich einer Gefahr aussetzt - 
steige niemals hinab in die Schlucht und 
verstecke dich nie hinter einem Baum Du hast 
zahllose Wege, aber nur einen hat 
dein Feind. Aus einem Verfolgten 
machte dich zum Angreifer. 
Wie stark sind die Angreifer und 
wie schwach sind jene, die sich rechtfertigen. 
Überlasse es anderen, sich zu verteidigen. 
       Du greife an. 
Denn du weißt, wofür 
du ausgezogen bist. Und weshalb du 
den Wald nicht fürchtetest. Heiliger 
und fruchtbarer und segenspendender 
Wald. Lass den Jäger hindurchgehen. 
Halte ihn nicht auf. Verbirg nicht 
die Wege und Pfade. Und 
erschrecke ihn nicht. Ich weiß doch, 
du hast viele Stimmen. Aber ich hörte 
deine Stimmen. Und mein Jäger 
nimmt seine Beute. Und du, 
Jäger, musst deinen Weg selbst kennen. 
Glaube nicht den Rufenden und 
wende dich nicht den Ratgebern zu. 
Du, nur du kennst 
deine Beute. Und du wirst kleine Beute 
nicht vorziehen und vor Hindernissen 
wirst du nicht verbittert werden. 
Wer zweifelt, ist schon offen 
für den Feind. Wer anfängt zu überlegen, 
verliert seine Netze. Aber 
wer sie verloren hat, kehrt zurück 
zur Suche. Du aber 
gehst weiter, Jäger. Alles 
was hinter dir blieb, ist nicht dein. 
Und du weißt das genauso, wie ich 
es weiß. Denn du weißt alles. 
Und kannst dich an alles erinnern. 
Du kennst die Weisheit. 
Du hörtest von der Tapferkeit. 
Du weißt zu finden. 
Und du durchquerst die Schlucht 
nur zum Aufstieg auf den Hügel. 
Und die Blumen der Schlucht - sind nicht deine 
Blumen. Und der Bach der Niederung 
ist nicht für dich. Funkelnde Wasserfälle 
findest du. Und die Borne der Quellen 
erfrischen dich. Und vor dir 
erblüht das Heidekraut 
des Glücks. Aber es blüht 
auf den Anhöhen. 
Und die beste Jagd wird nicht 
am Fuße des Hügels sein. Sondern deine 
Beute zieht über die Gebirgsketten. 
Und, am Himmel lodernd, über der 
Höhe aufsteigend, bleibt sie stehen. 
Und sie wird umherblicken. Und dann 
zögere nicht. Das ist deine Stunde. 
Du und deine Beute, ihr werdet auf 
den Anhöhen sein. Und weder du noch die Beute 
werden wünschen, hinunter zusteigen 
ins Tal. Das ist deine Stunde. 
Aber sobald du das Netz auswirfst weißt du, 
dass du nicht gesiegt hast. Du 
nahmst dir nur das Deine. Glaube 
nicht, du seiest der Sieger. Denn alle 
sind Sieger. Sie erinnern sich nur 
nicht daran. 
Ich führte dich an breite 
Flüsse und riesige 
Seen. Und ich zeigte dir 
den Ozean. Wer das Unendliche sah 
verliert sich nicht im Endlichen. 
Denn es gibt keinen unendlichen Wald. 
Und jeden Sumpf kann man umgehen, 
Jäger! Wir haben gemeinsam deine Netze 
geflochten. Wir suchten gemeinsam die Treibjäger. 
Wir suchten gemeinsam den Ort 
der besten Jagd. Gemeinsam mieden 
wir die Gefahr. Gemeinsam 
legten wir unseren Weg fest. 
Ohne mich wäre dir der Ozean 
nicht bekannt. Ohne dich kennte ich 
die Freude deiner glücklichen 
Jagd nicht. Ich liebe dich, mein 
Jäger. Und den Söhnen des Lichts 
übergab ich deinen Fang. 
Selbst wenn du irren solltest, 
selbst wenn du dich zeitweilig in die Ebene 
begäbest. Selbst wenn du auf 
die Schädel blicktest. Selbst wenn du durch Lachen 
einen Teil der Beute vertriebest. Aber 
ich weiß, dass du auch ohne Unterlass 
auf die Jagd gehst. Du bist nicht entmutigt 
und verlierst nicht den Weg. Du 
weißt, wie man den Weg nach der Sonne 
findet. Und wie du durch den Wirbelsturm 
zum Weg zurückfindest. Und wer 
zündete sie an - die Sonne? Und wer 
treibt ihn heran - den Wirbelsturm? Doch 
aus den Gefilden der Sonne spreche ich 
zu dir. Dein Freund, 
Lehrer und Begleiter. 
Jäger und Treiber, lass sie 
Freunde sein. Und nach der Jagd 
sich auf dem Hügel ausruhend, rufe 
die Jäger und Treiber heran. 
Berichte ihnen, wie du bis zum Hügel 
gingst. Und warum ein Jäger 
nicht in den Schluchten verweilen sollte. 
Und wie du auf dem Gipfel die Beute 
trafst. Und wie du wissen wirst 
dass diese Beute deine ist. Und wie 
man kleine Beute meiden 
soll. Denn wer ihr nachgeht, 
der wird mit ihr auch so 
unverändert bleiben. 
Berichte ihnen auch, wie ein Jäger 
alle Zeichen der Jagd mit sich 
trägt. Und wie er, nur er 
seine Fähigkeiten kennt, und seine Beute. 
Plaudere jenen nichts von der Jagd aus, die nichts wissen 
von der Beute. In der Stunde des 
Verdrusses, des Elends, werden sie sich 
als Treiber verdingen und im Gestrüpp 
an der Jagd teilnehmen. Aber 
verstehe, Jäger, verstehe die Treibjäger. 
Mit ihnen trinke Wasser am Lagerfeuer 
zur Erholung. Verstehe sie, Verstehender. 
Und wenn du die Jagd beendet hast, richte 
deine Netze her und denke eine neue Jagd aus. 
Erschrecke nicht und versuche nicht 
zu erschrecken, Denn wenn du nicht erschreckst 
kommt die Furcht noch großer zurück 
zu dir. Überlege einfach. 
Denn alles ist einfach. Alles ist gut 
durchdacht. 
Jede Furcht besiegst du 
mit deinem unbesiegbaren 
Wesen. Aber wenn du erzitterst, 
dann, Niedergeschlagener, Erniedrigter, 
weder Schreiender noch Schweigender, 
der du das Bewusstsein für Zeit, 
Ort und Leben verloren hast, - dann verlierst 
Du den Rest von Willen. Und 
Wohin wirst du gehen? 
Und wenn einer der ermatteten 
Treiber dir etwas gegen die 
Jagd sagt, höre ihm nicht zu, 
mein Jäger! Verweichlichte! 
Sie bedecken sich selbst mit 
Zweifeln! Wie wird deren 
Jagd sein? Und was werden sie 
ihren Verwandten bringen? 
Wieder ein leeres Netz? Noch 
einmal Wünsche ohne Erfüllung. 
Verlorene, wie verloren ist 
ihre kostbare Zeit. Ein Jäger lebt 
für die Jagd. Beachte nicht die Stunden der 
Ermüdung. In diesen Stunden bist 
du kein Jäger. Du bist Beute! Der Wirbelsturm 
vergeht. Schweige. Und erneut 
nimmst du dein Horn. Ohne dich zu verspäten 
fürchte nicht, zu spät zu sein. Und einholend 
wende nicht den Kopf. Alles Verständliche 
ist unverständlich. Und alles Erklärbare ist 
unerklärlich. Und wo ist die Grenze zu den Wundern? 
Und noch ein Letzten, oh mein 
Jäger. Wenn du am ersten Tag 
der Jagd keine Beute 
triffst. Gräme dich nicht. 
Die Beute kommt schon zu dir. 
         ________ 

Der Wissende sucht. Der Erkennende 
findet. Wer gefunden hat wundert sich über 
die Leichtigkeit des Beherrschens. Der Beherrschende 
singt ein Lied der Freude. 
Freue dich! Freue dich! Freue dich! 
       Jäger, 
dreimal Berufener.

15. IV.1921 
Chicago